Liebe Leserinnen und Leser,
in guter Tradition fand auch in diesem Jahr am 03. Oktober ein ökumenischer Gottesdienst zum Tag der Deutschen Einheit in der Sankt-Petri-Pauli-Kirche statt. Gäste aus Eislebens Partnerstädten konnten hierbei begrüßt werden.
Der Gottesdienst hatte den thematischen Blick auf die 30 jahre der Einheit. Was sind 30 Jahre in einem Menschenleben? Wie sieht es ein 15jähriger Jugendlicher? Wie eine 30jährige Frau und Mutter? Und wie blickt ein 60jähriger Mann auf diese Zeit zurück? Mit solchen Statments begann der Gottesdienst. Die Sicht des 60jährigen folgt hier als Text.
Die Deutsche Einheit wird 30 Jahre
30 Jahre aus Sicht eines 60jährigen
Ich sehe es sportlich! Es fühlt sich an, wie zwei Halbzeiten. Zwei sehr unterschiedliche Halbzeiten.
Die erste Halbzeit war hart. Ein unangenehmer Gegner. Obwohl er schon längst gegen den Abstieg spielte, präsentierte er sich, als ob er der größte Champion der Welt wäre.
Es war eine unschöne Spielzeit. Druck wurde aufgebaut, auf allen Ebenen, totale Überwachung. Eigene Kreativität war nicht gefragt. Anpassung und Unterordnung prägten das Bild. Freiheiten gab es nicht. Versorgung war mangelhaft.
Die Spieler waren mehr und mehr unzufrieden. Viele verließen vor dem Halbzeitpfiff das Spielfeld, über Ungarn, Tschechien oder zuvor mit Ausreiseanträgen.
Ein Fachmann, der seine Mansschaft gerade mit Glasnost und Perestroika eine neune Spielphilosophie beibrachte, dieser Fachmann beobachtete das desaströse Spiel bei uns von Außen, gab noch den Hinweis: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“. Aber es war schon zu spät.
Dann kam die Halbzeitpause. Von Herbst 89 bis Oktober 1990. Eine spannende Zeit. Kerzen und Friedensgebete. Bewachung des Stasi-Gebäudes. Treffen mit Gleichgesinnten und engagierten Mitbürgern. Dem Wunsch nach Veränderung und Mitgestaltung durch aktives Mittun Wirklichkeit werden lassen, - das war das Gebot der Stunde.
Zunächst an runden Tischen dann in demokratisch und frei gewählten Parlamenten.
Die zweite Halbzeit begann: Es war nicht nur das Gefühl in einem neuen Team zu spielen, sondern gleich in einer anderen Liga zu sein.
Die Euphorie war groß, die Erwartungen ebenso. Irgendetwas verlieh uns Flügel.
Die Spielfreude war da. Es wurde vieles nachgeholt, was zuvor nicht möglich war. Die Zeiten wurden anspruchsvoller. Leistung zählte; das forderte allerdings auch viel persönlichen Einsatz.
Kritisch ist festzustellen, dass nicht alle Mitspieler in der Stammelf und auf dem Paltz blieben. Nicht wenige landeten auf de Ersatzbank.
Ihr Betrieb wurde abgewickelt, Umschulungen und Umstrukturierungen brachten nicht den erwarteten Erfolg.
Auch wenn es mich nicht persönlich traf, in unserer Region ist das noch heute spürbar.
Ja, in der zweiten Halbzeit sind nun hier und da leichte Ermüdungserscheinungen erkennbar. Die wurden aber bisher stets gut gemeistert. Anderswo verlaufen Krisen viel leidvoller und einschneidender als bei uns.
Wir werden vermutlich nicht alle Titel und Pokale, die wir uns erträumt hatten, erreichen. Egal, es war aber bisher eine gute, friedliche zweite Halbzeit.
Vieles hat sich zum Positiven verändert. Uns geht es gut. Dafür bin ich dankbar.
Ich bin mir auch sicher, dass es gut weiter gehen wird, wenn wir ab und zu mal auf beiden Halbzeiten schauen und auch mal über der Spielfeldrand hinaus. Da sehen wir, dass wir ganz weit ober in der Tabelle stehen. Kein Grund zum Jammern.
Dafür brauchen wir auch keine Alternative. Wichtig sind Menschen, die weiterhin nach den Regeln spielen, d.h., die nach der Werteordnung unseres Grundgesetzes mitmachen.
Ganz persönlich wünsche ich mir, dass es mit dem Abpfiff noch ein bisschen dauert.
Vielleicht sollte ich dazu gedanklich den Rasenballsport verlassen und zum Eishockey gehen. Dort gibt es bekanntlich drei Drittel.
Norbert Lakomy